Wir sitzen auf dem Steg am kleine See und schauen hinaus, stellen uns vor, dass da Meer vor uns läge: Ein Ozean, der Wellen schlägt, sich zu Wogen empor türmt, die dann, noch in weiter Ferne, wieder in sich zusammenfallen. Nur noch weißer Schaum tröpfelt berauscht an den Strand.

Es ist leicht, sich, irgendwo dort draußen in den Untiefen der See, Poseidon vorzustellen.

„Nein, sag´ es bitte nicht!“, unterbreche ich unser wohl klingendes Schweigen, als ich bemerke, dass sich in meinem Begleiter ein Satz zusammenbraut. „Ich mag nicht mehr hören, was jetzt „normalerweise“ anstünde, was man „normalerweise“ jetzt täte... Und noch weniger mag ich das Gerede von der Notwendigkeit der Akzeptanz der „neuen Normalität“. Was wir so deutlich vor Augen geführt bekommen, ist doch, wie zerbrechlich jede „Normalität“ ist.

Ich wollte, wir könnten von einer Zerbrechlichkeit der Normalität sprechen: Diese Verbindung zweier Substantive gaukelt reale Existenz vor. Dann würde Normalität bestehen, wenn Zerbrechlichkeit über sie kommen könnte. Wir müssten nur Sorge tragen, dass sie nicht, wie ein Kristallglas, zerbricht. Wir könnten sie schützen, bruchsichere Folie darüber kleben, sie in Watte packen und jedem zeigen, der unsere Welt besucht. Es gäbe ein Mittel, sie aufzupolieren, sie mit Glanz zu besprühen, und gegenseitig könnten wir uns zum Geburtstag das Update dazu schenken: Normalität 2.0, oder magst du lieber die Testversion oder das Abo?


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Doch das, was wir erschufen, ist an sich zerbrechlich, da es nicht existiert. Wir haben unsere Erfindung selten hinterfragt, haben sie als Wirklichkeit genommen. Eins stilles Übereinkommen hat uns dazu gebracht, uns zu verhalten, als ob ein Hirngespinst für alle gelte. Jeden Morgen sind wir in unserem eigenen Mythos erwacht, jeden Abend beim Einschlafen haben wir ihn in unseren Träumen weiter gesponnen. Nun ist unser Konstrukt ins Wanken gekommen, und wir alle, die wir herbeistürzten, um es zu stützen, Bauträger orderten, den Betonmischer anwarfen, und wir alle, die wir aus heiteren Distanz auf unseren Terrassen, das Fernglas an den Augen, beobachteten, wie es schwankte, noch in dem Glauben, es hätte nichts mit uns zu tun, stehen nun fassungslos vor dem gähnenden Nichts: Nichts ist eingestürzt, nichts ist verschwunden, nicht mal eine Leere bleibt, denn wenn Nichts ist, bleibt nichts, wenn Nichts geht...
Vielleicht ist nun klar, dass eine Substantivierung von Ideen noch lange nicht Wirklichkeit schafft.“

„Und, was machst du jetzt?“, fragt mein Freund, und ich zucke mit den Schultern, hebe die Hände in einer fragenden Geste hin zu meinem imaginierten Ozean, in der vagen, kindlichen Hoffnung, vielleicht im Sirenengesang von Peisinoe eine neue Täuschung geschaffen zu bekommen.

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