Wer sich heutzutage fürchtet, tut sich leicht(er): Er fürchtet sich VOR etwas. In der Regel davor, dass eine bestimmte Situation eintritt. Er fürchtet sich, sich oder seinerseits andere anzustecken, krank zu werden, dahinzusiechen. Also wappnet er sich mit Atemmasken, schluckt Vitamine, stärkt sein Immunsystem, isoliert sich, folgt politischen Vorgaben, raunzt andere Menschen an, wenn der geforderte Mindestabstand von 1,5 m nicht eingehalten wird. Angst zu haben jedoch ist wie Don Quijotes Kampf gegen Windmühlen. Angst entzieht sich. Wo, was, wer und wie sind die Angstgespinste, gegen die ich mein Schwert erheben kann?

Kurz: Wer sich fürchtet, kann sich rüsten, kann etwas TUN. Wer sich ängstigt, glaubt sich ausgeliefert, sieht sich wehrlos, hilflos.

Sogar im therapeutischen Bereich „freuen“ wir uns, wenn ein Phobiker sich zur Behandlung einfindet: Eine Phobie meint eine übertriebene Furchtreaktion in einer spezifischen Situation bzw. vor einem spezifischen Objekt, wobei sich der Phobiker der Irrationalität der Furcht bewusst ist.

Auch, wenn bis heute nicht geklärt ist, ob die Phobie durch Lernerfahrung (Konditionierung) entstanden ist oder bereits genetisch verankert ist, ist sie verhaltenstherapeutisch sehr gut (einfach und schnell) zu behandeln.

Angst stellt sich anders dar. Angst ist eher gegenstandslos, jongliert mit ihren Sorgen, wechselt Beunruhigungen. Angst ist omnipräsent und doch transparent, liegt wie ein Schleier vor und hinter dem Erleben. Das macht sie so schwer zu fassen – und so schwer zu therapieren. Jemand fürchtet sich VOR etwas – aber Angst HAT man. Sie droht zu bleiben, lässt sich los. Die etymologische Betrachtung verdeutlicht den Rest: Das griechische anxein (würgen, drosseln) wie das lateinische angor (Würgen, Beklemmung), angustia (Enge), ebenso angere (die Kehle zuschnüren, das Herz beklemmen) weisen auf die affektiven und emotionalen Dimensionen hin.

Irvin Yalom, eine meiner zeitgenössischen Lieblings-Leitfiguren und bedeutender existentialpsychologischer Therapeut, bemüht sich, der Todesangst, die seiner Ansicht nach hinter den meisten psychischen Beeinträchtigungen steckt, auf die Schliche zu kommen.

„Angst ist der Schwindel der Freiheit“, verdeutlichte Sören Aabye Kierkegaard, der in seinem Buch „Der Begriff Angst“ im Jahre 1844 die Termini Angst und Furcht unterschied.
Angst sah er als (notwendige) Grunderfahrung des Menschen (in seiner Anschauung bedingt durch die Erbsünde des Menschen). "Man kann die Angst", so Kierkegaard, "mit einem Schwindel vergleichen. Wer in eine gähnende Tiefe hinunterschauen muss, dem wird schwindlig. Doch was ist die Ursache dafür? Es ist in gleicher Weise sein Auge wie der Abgrund - denn was wäre, wenn er nicht hinuntergestarrt hätte? Demgemäß ist die Angst jener Schwindel der Freiheit, der aufkommt, wenn der Geist die Synthese setzen will und die Freiheit nun hinunter in ihre eigene Möglichkeit schaut. (.. .) In diesem Schwindel sinkt die Freiheit nieder." (Kierkegaard, S., Der Begriff Angst, reclam, 1992, Stuttgart, S. 72)

 

 

Unschuld ist Unwissenheit, stellt er die These auf. Der Narr lebt sich leichter, sagt der Volksmund.

Viktor Frankls logotherapeutischer Ansatz orientiert sich stark an diesen zugrundeliegenden Selbst- und Weltanschauungen: Weil wir als bewusstseinsfähige Lebewesen (und zum Bewusstsein verdammte Lebewesen, möchte ich ergänzen) Zugang zur noetischen (zur geistigen) Dimension haben, sind wir uns auch den realen und möglichen Folgen unseres Handelns bewusst und damit an moralische und ethische Vorstellungen gebunden.

Unser Gewissen ist der Indikator, der uns wie eine Kompassnadel durchs Dickicht unserer Wahlmöglichkeiten navigieren lässt.
Außerhalb meines Gewissens existiert kein richtig, kein falsch – ich bin jeden Moment aufs Neue verpflichtet, mir meiner Verantwortung bewusst zu sein, dass ich, nur ich mein Gut, mein Böse, erschaffe und erwähle.

Wenn ich mir bewusst bin, dass ich frei bin, wirklich frei, auch und gerade, mich selbst zu „richten“, kann sich die Angst ver-ziehen, zieht sich selbst vor meinen mich aus-richtenden Entscheidungen zurück.

 

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