Sinn im Leben

Aus der Gedächtnisforschung wissen wir genug, um eine durchaus weitreichende Behauptung zu belegen: Jede Erinnerung sagt mehr über mein gegenwärtiges Erleben als über die Vergangenheit aus. Manche gehen so weit um zu denken, jede Erinnerung käme einer Erfindung gleich, sei eine rückwärts gerichtete Illusion, so, wie eine Zukunftsvision eine vorwärts gerichtete ist. Sicherlich ist irgendetwas geschehen, es wird nicht behauptet, wir würden einer reinen Halluzination erliegen, wenn wir uns erinnern. Und doch scheint eine Erinnerung mehr einer Fata Morgana, einer Luftspiegelung, oder auch einer Chimäre zu gleichen: Schon im präsenten Erleben werden Ereignisse nicht unverzerrt wahrgenommen – wir erleben doch immer aus der eigenen Perspektive heraus und schon in der Wahrnehmung und in der folgenden Weiterverarbeitung ändern wir die faktischen Begebenheiten ab. Im Weiteren, jedes Mal, wenn wir uns erinnern, fügen wir (nicht intentional) Details hinzu oder lassen welche weg. Wir kennen...

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Es ist spät am Abend, es ist Wochenende, es ist Wies´n-Zeit: Die Saison der zwanghaften Vergnügung ist eröffnet. Ich sitze in einem Café in der Münchner Innenstadt und betrachte durch das große Fensterglas das bunte Treiben auf der Straße. Vor nur wenigen Minuten hieß es auf dem Oktoberfest „nichts geht mehr!“ und nun bewegt, nein: torkelt der träge Besucherstrom an meinem Ausguck vorbei. So viele Menschen, so viele Wünsche, so viele Ziele... und doch nur eine Richtung. Macht es da einen Unterschied, dass die Wege unterschiedlich zu sein scheinen? Einer nach dem anderen ziehen sie vorbei. Wohin, wohin nur? Was wartet am Ende als das Ende selbst?

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Wir alle sind Menschen auf unserem Lebensweg begegnet, die uns prägten – so oder so. Es sind Begegnungen, die wir als Erinnerungen mitnehmen, die uns begleiten, die uns, retrospektiv oder gegenwärtig, unser Ich spiegeln. Menschen sind es, die uns zerstören, aber auch wachsen und reifen lassen können.

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Wenn mich jemand aufsucht, dann meist, weil er leidet. Manchmal ist es ein träges, zähes Leiden, das sich über viele Jahre wie schwarzer Teer, der in alle Ritzen gekrochen ist, festgesetzt hat, manchmal ist das Leid grellrot und tosend wie ein tropischer Wirbelsturm. Es sind Menschen, die ihre Eltern und Kinder zu Grabe tragen mussten, deren Körper und Seele durch verschiedenste Grausamkeiten Schaden nahmen, Menschen, die die Unwiederrufbarkeit von Entscheidungen beklagen, die an Einsamkeit zugrunde gehen – kurz: Es sind Menschen, die Unerhörtes auszuhalten haben. Wir Therapeuten können das Leiden nicht von ihnen nehmen – wir können nur helfen, es zu tragen zu versuchen. Die wenigsten von uns hatten sich irgendwann entschlossen, therapeutisch zu arbeiten, weil ihnen das Leben so wohlgesonnen gewesen war – die meisten von uns entschieden sich, weil sie das Leiden kennen. Weil sie wissen, wie es ist, in den Abgrund der Verzweiflung zu blicken, voll Entsetzen und Hilflosigkeit....

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Du willst noch schnell beim Discounter dein Abendessen holen – nicht, weil es deiner Philosophie entspricht, sondern weil er so günstig auf deinem Nachhauseweg liegt. Fürs gute Gewissen kannst du ja Bioprodukte kaufen. Gerade willst du dein Rad abstellen, als du diesen alten Mann siehst: Schwer auf seinen Krückstock gelehnt, in der anderen Hand eine Tüte eben jenes Discounters, müht er sich ab, seinen Fuß über die kleine Schwelle zu haben, die den Parkplatz des Supermarkts vom Gehsteig trennt.

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Seit einigen Monaten hat sich der Tod in meinem Leben eingenistet: Wie zu einem Picknick im Grünen breitete er seine Decke und packte er seinen Korb aus und ließ sich nieder. Und nun sitzt er da und schmaust: Einen großen Pott Kirschen hat er mit gebracht. „Vor dem Herbst sterben die Leute eher als die Fliegen“, hieß es damals, in meiner Kindheit, bei uns auf dem Land.

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Neulich erzählte mir ein Freund, dass er, wenn mal wieder ein Headhunter das Gespräch mit „Wie sieht Ihr Traumjob aus?“ eröffnen wollte, schlichtweg keine Ahnung hat, was er darauf antworten sollte. Mich lässt das nicht los: Seitdem kehren meine Gedanken immer wieder zur Frage nach dem, was uns antreibt, zur Frage nach dem (sinn-)erfüllten Sein zurück. In Ermangelung einer echten Heimat verließ ich auf der Suche nach eben jener sehr bald mein „Zuhause“ und schlug mich als Kellnerin in verschiedenen Lokalen durch, um mir das Abitur und später das Studium zu verdienen. In zorniger Verzweiflung schleuderte ich in jugendlichem Trotz dem Leben mein „Nicht mit mir!“ entgegen – retrospektiv jedoch war wohl das, was ich damals als Wut empfand, Sehnsucht. Sehnsucht nach etwas, wenn schon nicht Besserem, doch wenigstens Anderem.

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Jeder Einzelne ist jeden Tag gefragt, Stellung zu sich in dieser Welt zu beziehen. Wir als Philosophen müssen unserer ethische Verantwortung, Stellung zum Menschen in dieser von uns konstruierten Welt zu nehmen, laut und deutlich nachkommen. Wir können uns nicht hinter unseren Büchern verstecken, uns selbst vorgaukelnd, die Welt draußen hätte nichts mit uns zu tun, auch und eben weil wir drinnen an unseren Schreibtischen sitzen und sinnieren, während andere draußen sind und d as verteidigen, was wir erdachten: Die Reglementierung unserer Menschlichkeit. Wir tragen zur Gesetzbildung bei, das muss uns deutlich sein.

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Kürzlich fragten mich meine Schüler, ob bezüglich Frankls Konzept des sinnhaften Daseins ein Mensch, der als homo patiens der Sinnlosigkeit zu trotzen lernen musste, jemals wieder als homo faber oder homo amans Erfüllung finden kann. Kurz: Sie wollten wissen, ob es einen Weg zurück gibt. Kann Entwicklung umgekehrt werden, kannst du, dein Kreuz geschultert am Ende deines Leidenswegs, dich umdrehen, zurückkehren in dein „altes“ Leben?

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Die meisten von kennen diese Phasen im Leben, in denen nichts glatt zu laufen scheint: Kleinere und größere Missgeschicke reichen sich die Hand, das Schicksal teilt Kinnhaken aus. Und kaum haben wir uns von einem Schlag erholt und uns aufgerappelt, streckt uns der nächste erneut nieder.

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In der Ferne muss ich mich verlieren, um dich zu finden. Ich schicke mein wanderndes Herz in die Steppe der Nacht, hatte ein Ziel vor Augen, umkreiste mottengleich das Licht. Wie eine künftige Momentaufnahme meines Seins, und was doch dort fehlen wird, ist dein müdes, sanftes, dünnes Lächeln, das mich erst in die Welt entsandte, weil ich es verlor. Weil es mir abhanden kam wie anderen Menschen der Briefkastenschlüssel, weil ich es vergaß, wie einen Handschuh liegen ließ, meist den rechten, weil es mir genommen war, weil du starbst. Und immer noch, nach all der Zeit, werden meine Augen feucht, kann denn jemals jemand auch vergessen? Und alles in mir sehnst sich nach dir, nach deinen Armen, deiner knochigen Schulter, deine Größe, die es mir erlaubte, mich in ihr zu verbergen. All die Momente, in denen du mir deine Welt eröffnetest, all das Kleine war so groß, unwiederbringlich heute klein geschrumpft. Und wenn ich nun beim Betreten dieses Kellers, ganz automatisch, meinen Arm nach oben...

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Lange schon ist der Traumatherapie bekannt, dass mit bloßem Reden über das Furchtbare kein Trauma aufzufangen oder gar aufzulösen ist. So haben sich zur Traumabewältigung und Reduktion der posttraumatischen Stresssymptome unterschiedliche therapeutische Ansätze entwickelt, die von Imaginationsarbeit wie in der Hypnotherapie, über Konfrontation mit dem angstauslösenden Stimulus bis hin zu EMDR reichen. ( Eye Movement Desensitization and Reprocessing verbindet imaginative Konfrontation mit Augenbewegungen, um das immer wieder in die Gegenwart flutende Trauma schließlich als vergangen ad acta legen zu können.) Und doch ist bereits seit der Schaffenszeit des humanistischen Therapeuten Carl Rogers (der einen nomothetischen Ansatz vertrat, also davon ausging, dass die Erfolgsvariablen einer Therapie zumindest prinzipiell der wissenschaftlichen Überprüfung zugänglich sein sollen) klar, dass wir Menschen nur und ausschließlich an Beziehungen heilen. Rogers beschrieb die hinreichenden und...

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In meiner Studentenzeit verdiente ich mir mein Auskommen selbst. Einmal hatte ich einen kleinen Job: Bei einem großen Event heuerte ich als Wahrsagerin, als Orakel an. Es war ein riesig inszeniertes Firmensommerfest, und ich rückte mit einem bunten Zelt, meinen Tarotkarten, einer Glaskugel und meiner schwarzen, langen Perücke an. Ich war relativ bewandert im Hand- und Karten lesen. Manch einer mag sich fragen, woher diese Kenntnisse stammten - hatte ich doch bereits Psychologie studiert, die sich, damals noch stärker als heute, als Naturwissenschaft etabliert glaubte. Die stärksten Gegner der Naturwissenschaft sind wohl Esoterik, sind Mystik und Prophetentum – wie vielleicht die Theologie das Hinterfragen der Philosophie herausfordert: Und genau deswegen tauchte ich in deren Abgründe ein – ich wollte verstehen, nach welchen Prinzipien sie sich richten. Sobald ich meine Orakelstätte eingerichtet hatte, in meinen bunten Gewändern und dem wallenden schwarzen Haar im Schneidersitz dort...

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Heute also ist es wieder soweit: An einem wolkigen, verregneten Tag, dem 9. Mai 1921, wurdest du geboren. Ich war schon geübt im Gebären, du warst mein 3. Kind, das verunsicherte mich nicht. Und doch wurdest du in eine Atmosphäre der Unsicherheit hineingeworfen. Eine Atmosphäre, die schnell, viel schneller als gedacht, zu einer Stimmung der Angst wurde. Vielleicht war es bereits ein Vorbote der Wolke des Hasses, die sich irgendwo dort hinten am Horizont begann zusammenzuballen, dass Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti in einem mehr als fragwürdigen Prozess wegen angeblichen Raubmords im September zum Tod verurteilt und, sechs Jahre später, 1927, hingerichtet wurden. Die italienischen Einwanderer waren A narchisten und Kriegsdienst-Verweigerer – mithin eine wahrgenommene Bedrohung für den aufkeimenden National- und Patriotismus. Jene Hydrae, diese Wortungeheuer, die sich das Suffix -ismus zu eigen machen, begannen zu dieser Zeit erneut die Auen der Mitmenschlichkeit abzugrasen. Angst...

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Philipp, der Sohn der Mamma CA-Patientin, ist am Boden zerstört: Soeben ging ihm auf, dass die Statistik, die besagt, dass 80 % der Brustkrebspatienten und -innen die nächsten fünf Jahre überleben, auch aussagt, dass eben 20 % daran sterben. „Mensch, jeder 5. Patient stirbt in den nächsten fünf Jahren – und innerhalb der nächsten zehn Jahre sterben sogar 30!“, sagt er und schlägt sich die Hände vor die Augen. „Ich muss wohl lernen, mich an den Gedanken zu gewöhnen, dass meine Mutter stirbt. Ich muss lernen, mich von ihr zu verabschieden!“ „Nein, falsch“, entgegne ich. In Philipp habe ich seit langem endlich wieder jemand gefunden, der meinen Humor vollständig teilt, und ich genieße unseren launigen Austausch sehr. Weil ich weiß, dass er mich verstehen wird, schlüpfe ich nicht in die Therapeutenrolle, sondern antworte ihm als Freundin. „Die Wahrscheinlichkeit ist viel höher als zwanzig Prozent, dass sie in den nächsten fünf Jahren stirbt.“ Philipp runzelt die Stirn. „Weil wir ja nicht...

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Es scheint eine Zeit, in der Solidarität hoch gepriesen und kaum gelebt wird. Eine Zeit, in der du durch die stillen Straßen eilst und Passanten sich, sollten Wege sich kreuzen, Ausscherspuren durch den Matsch am Wegesrand pflügen. Du versuchst, einen Blick mit einem Lächeln einzufangen, doch jeder hat seinen Kopf längst in die andere Richtung gedreht – sogar Hunde, die an einer Schleppleine laufen, werden als potentielle Gesundheitsgefährder mit zusammengekniffenen Augen und zusammengepressten Lippen beäugt. Die Welt hat wieder einen Feind und zieht sich zusammen, macht sich klein: Grenzen sind hochgefahren, Gesichter verdeckt, alles, was hineinlassen könnte, Landesgrenzen, Türen, Fenster, Nasenlöcher, Münder, Augen und Ohren werden verengt und abgedeckt. Zettel kleben an Türen: Nachbarschaftshilfe wird ausgelobt. Menschen, die für andere einkaufen würden, selbstverständlich kostenlos. Zettel kleben an den Supermärkten: „Abstand halten, mindst. 1,5 m“. Und die Einkäufer, mit ihren...

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Der ein oder andere erinnert ich an die Musik der 1980er Jahre: Eine Zeit der Neuerfindung der Individualität, eine Zeit der grellen Einfachheit, der fehlenden Beschämung, das Gute im Leben zu wollen. Eine Zeit, in der es erfüllend war, an die Macht der Liebe zu glauben. Und auch, wenn ich nie viel mit der NDW anfangen konnte, klingen mir in den letzten Tagen doch immer mehr einige Zeilen aus einem Song von Codo im Ohr: „Und ich düse, düse, düse, düse im Sauseschritt Und bring' die Liebe mit von meinem Himmelsritt. Denn die Liebe, Liebe, Liebe, Liebe, die macht viel Spass, Viel mehr Spaß als irgendwas. Objekt überwindet den Hassschirm. Ätzend, ich bin so ätzend, alles zersetzend: Ich bin der Hass. Und ich düse, düse, düse, düse im Sauseschritt Und bring' die Liebe mit von meinem Himmelsritt.“ Ich stoße an meine Grenzen des Verständnisses, wenn ich mich in dieser meiner heutigen Zeit, in dieser meiner gegebenen-gemachten Welt umblicke. Denn ich gehe fest davon aus, dass es weniger...

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Als ich frühmorgens an einem Seminarwochenende durch die alkoholschwangere Stuttgarter Innenstadt laufe, stockt mir der Atem: Neben Obdachlosen, die auf Zeitungspapier ihr Nachtquartier die Häuserwände entlang aufgeschlagen haben, haben Flüchtlingsfamilien ihre Schlafsäcke auf den wenigen Stellen, die nicht vom Abfall und Erbrochenen des Partyvolks verunreinigt sind, ausgebreitet.

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Kürzlich begab ich mich auf Spurensuche eines meiner Vorfahren: Ich wanderte den Caspar-David-Friedrich-Weg entlang, der ein Teilstück des Malerwegs in der Sächsischen Schweiz beschreibt. Dabei ging es mir weniger um die Begegnung mit der Vergangenheit – denn sie existiert nur als Fiktion, sie ist nicht wirklich greifbar, wir erschaffen sie jedes Mal neu, wenn wir sie uns in den Kopf zurück (zurecht) rufen: Ich wollte der Vergänglichkeit begegnen. An den detailliert beschilderten Plätzen, an denen CDF viele Stunden verbrachte, um Landschaften und Eindrücke auf Papier zu bannen, hielt auch ich inne: Ich atmete tief ein, stellte mir vor, wie er, so lange vor mir, hier saß oder stand und den Blick gen Himmel richtete. Fragte auch er sich, ob jemals Antworten zu finden sind?

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Die moderne Verhaltenstherapie ist zu einem großen Teil von achtsamkeitsbasierten Ansätzen geprägt: Das meint nicht nur, dass wir dem Klienten Meditationstechniken an die Hand geben, ihn ins Yoga oder Qigong schicken oder ihn mit Defusionstechniken aus der Akzeptanz- und Commitment-Therapie Abstand von belastenden Gedankeninhalten gewinnen lassen – das meint vor allem auch, dass wir in einem ersten Schritt Gefühlen, so wie sie sich zeigen, Raum geben. Gefühle dürfen sein, wir lassen sie stehen – ohne sie sofort ändern zu wollen. Doch dabei gilt immer die alte Weisheit:

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