We are all broken! lese ich als Titelüberschrift von Scientific American – manchmal heitere ich meinen Morgen mit einem Blick in das populärwissenschaftliche Online Journal auf. Der Artikel beschreibt in wenigen Worten, dass es vielen Menschen schwer fällt, über psychische Störungen zu sprechen, um dann, wenig elegant und eher bemüht, Anstecker anzupreisen: Diese Pins zeigen comichaft Tiere mit einer eingebunden Tatze, einem gebrochenen Bein etc. Ich habe nicht ganz verstanden, wo die Parallele zu seelischen Verletzungen, auf die sich der Artikel beziehen will, versteckt sein mag – noch weniger verstehe ich, weshalb ich mir Schmerzen und Krankheit wie eine Brosche ans Revers heften soll.

Ja, wir alle haben den einen oder anderen Kinnhaken einstecken müssen, der Unsinn des Lebens hat uns manchen Knüppel zwischen die Beine geworfen, unsere Herzen sind nicht nicht nur einmal an Sollbruchstellen zersplittert. So ist das Leben: Es hinterlässt Spuren . Niemand hat uns ewiges Glück versprochen, bei niemandem können wir es einfordern.

Irgendwann ist es Zeit loszulassen, irgendwann sind alle Worte gesagt: Ich will mir meine Vergangenheit nicht unters Kopfkissen legen. Heilen findet in der Gegenwart statt.

Doch wie können wir aufhören, Vergangenem hinterher zu trauern?

Was ist das Gegenteil von Trauer? Ist es Glück?

Oft unterliegen wir der Illusion, einen ewig währenden Glückszustand erreichen zu können – fast schon zwanghaft jagen wir das Glück. Wir leben im Zeitalter des proklamierten Glücks. Das letzte Jahrzehnt galt der Glücksforschung: Jeder Neurowissenschaftler, der etwas auf sich hielt, entdeckte sein Faible fürs Glück, und jeder, der lesen konnte, zitierte begeistert aus den Studien zur Glücksforschung: Dauerhaft sind wir nicht fürs Glück gemacht, hieß es, als unser „Glückszentrum“ entdeckt wurde: Leider, leider reagieren unsere Nucleuses Accumbens dann, wenn etwas „besser als erwartet“ ist.

Erfahrungsgemäß ist das nicht oft, und wenn, dann nicht für lange.

Als ich noch im Studium war, wussten wir viel über unsere negativ konnotierten Gefühle, wenig bis nichts über die Freude. Dabei ist diese unter den fünf Primäremotionen die einzige, die wir wirklich fühlen wollen. Die anderen sind uns eher eine Last.

Doch: Überlebensnotwendig scheint Freude nicht zu sein.

Ist es nicht viel wichtiger für das Fortbestehen unseres Organismus, Angst, Ekel und vielleicht auch Wut zu spüren? Auch die Wichtigkeit von Trauer, die noch fehlende Primäremotion, kann ich mir erklären: Sie beeinflusst unser Verhalten insofern, dass sie uns lähmt – und verhindert übereilte Handlungen.


Als ich ein Kind war (ich wuchs in einem kleinen Dorf auf), kam einmal im Jahr ein Volksfest in unseren Ort: Aus heutiger Sicht hatte es kaum Attraktionen zu bieten – doch damals waren Losbude und Kettenkarussell mehr als genug. 
Ob die Zeiten besser waren, weiß ich nicht – doch vieles schien klarer: Alles, ein jeder hatte seinen Platz. (Natürlich vereinfache ich hier, natürlich polemisiere ich.)

Die Geschlechterrollen waren noch wohl definiert der Berufsweg schien stringent, und freitags gab´s kein Fleisch zu essen. Der Junge lud sein Mädchen zum Karussellfahren ein, das Mädchen dankte es ihm, indem es sich, übermütig kreischend, in der Luft in seinen Armen in Sicherheit wiegte. Das Jahr lebte sich friedlich und zufrieden – und alle zwölf Monate kam uns das Glück als Volksfest besuchen.
Dann schlich sich der Wandel in die Welt: Nicht nur der Arbeitsmarkt brach zusammen, auch unser Rollenverständnis änderte sich. Was klar umschrieben war, verlor Kontur.
Jede normale Frau hatte (zusätzlich) nicht nur Karriere zu machen und Fallschirm zu springen, sie hatte es durchsetzungsstark und furchtlos zu tun. Jeder normale Mann hatte (zusätzlich) nicht nur Windeln zu wechseln und gut zu kochen zu können – er hatte es gerne und hingebungsvoll zu tun. Auf zum ewigen Glück, schrieben wir uns alle auf die Fahnen – wenn du nicht glücklich bist, ist es dein eigenes versagen – strenge dich mehr an, dann bekommst du es zu fassen!

Und nun? Nun haben wir das Streben nach Glückseligkeit so verinnerlicht, dass wir vergessen haben, dass Glück auch Freude meint. Und Freude, als Primärgefühl, ist ein Ausnahmezustand. Bei Angst, Wut, Ekel, Trauer ist uns das intuitiv klar – doch Freude, Glück wollen wir dauerhaft behalten.

Weshalb dramatisieren wir Gefühle, weshalb machen wir uns abhängig von dieser einen Person, diesem einen Ding, diesem einen Erfolg, von all dem, was uns vermeintlich glücklich macht?

 

Vielleicht geht es zunächst darum, innerlich zu heilen, unsere Dämonen hinter uns zu lassen. Statt hartnäckig und blind immer weiter zu versuchen, unsere Alben auf der Jagd nach Glück für einige Momente abzuhängen, sehen wir sie an, lachen wir ihnen ins Gesicht: Sie sind alt, sie sind vergangen, sie sind fragile Hirngespinste.

So finden wir Ruhe.

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